Presse

Wir haben in Bremerhaven eine Zeitung, die Nordseezeitung. Vor einem Jahr (oder länger?) wurde sie modernisiert, hat ein totschickes Layout und eine neue tolle Page - und man schaffte die lästige Kulturredaktion ab. Was soll man auch damit. Wer möchte schon lesen, welche Seniorentheatergruppe gerade zum 10. Mal aufgrund eines unbekannten, aber witzigen Stückes ausverkauft war. Wer will schon wissen, dass eine Malerin mit Menschen mit Behinderung Gräser malt (und diese sich dadurch entwickeln) Wer will schon wissen, dass eine Gruppe Schüler aus dem Grundschulbereich mit einer Tanzpädagogin Ballett macht. Oder ein unbekannter, aber großartiger Organist eine Kirche bespielt hat. Es waren nur 15 Leute da, die aber schwebten nach Hause aufgrund der Leistung dieses Künstlers. Braucht man also nicht.

Versuche, etwas dagegen zu tun, schlugen eher fehl. Konkurrenzblatt-Versuche erledigte man der Gerüchteküche zufolge so:
1. Anzeigenkunden dieser Konkurrenz wurden mit Dumpingpreisen zurück "ins Reich" gelockt.
2. Mitarbeiter der NZ, die da ebenfalls schreiben wollten (oder schrieben), verloren ihre Jobs ganz schnell.
Ob das so stimmt, kann ich nicht sagen. Aber die Gerüchte sind laut und wild - und wütend.

Nun gibt es ja den Spruch, "Wenn du deinen Feind nicht besiegen kannst, mach ihn zum Freund", nur das widerstrebt einem Menschen wie mir, der ein wenig... sagen wir... der sich einem Ehrenkodex verpflichtet fühlt, der da heißt "ich muss mich niemandem anbiedern". Viele (nahezu alle) Künstler sind in Bremerhaven verärgert. Da haben wir so viel Kulturszene - nur was nutzt die, wenn die niemand wahr nimmt? Wir hatten während der CoolTour, den Schulkulturtagen hier in Bremerhaven, so wunderbare Beiträge, 3000 junge Besucher, soviel Leben und Wirbel - das war anderthalb Artikel wert.

Schade, dass wir das hier in der Stadt nicht hinbekommen, ein INTERESSANTES Kulturmagazin auf den Weg zu bringen, das wirklich alles berücksichtigt: Kulturamt, Kirche, Vereine. Schade. Bundesweit oder in andere "Szenen" übertragen klappt das viel besser. Mein Beispiel Nr 1 ist die Seite www.gospelblog.de.

Auch diese Seite ist nichtkommerzieller Natur. Der Macher ist ein Kenner der deutschen und amerikanischen Gospelszene, selbst Musiker, aber unabhängig (und neidlos) genug, um objektiv zu berichten - und er ist vielfältig. Ob Konzertrelease, News, CD-Besprechungen oder Liederbücher, die er vorstellt - bishin zu Linktips und Radiosendungen hat Arjan eigentlich alles auf dem Zettel - bzw. der Page. Und der Clou: Seine Sprache. Hier macht das Lesen Spaß. Dass er auf dem Blog von Eike Elser und Nico Haase kräftig unterstützt wird, die ebenfalls Artikel schreiben, wertet diesen noch weiter auf.

Arjan bekam nun jüngst ein Liederbuch in die Hand bzw. mit der Post. Der Macher bat, es zu rezensieren. Arjan schaute also hinein und stellte fest, dass man bei so einigen Songs die Komponisten "vergessen" hatte. Komponisten mögen sowas gar nicht. Da ihm egal sein kann, ob der Herausgeber (gleichzeitig Geschäftführer von Deutschlands größtem Gospelveranstalter) ihn noch lieb hat oder nicht, hat er genau das auch so veröffentlicht. Nun hat ein weiterer Bloginhaber diesen Artikel offensichtlich ebenso gemocht wie ich - und diesen komplett übernommen, nur dass auch dem "ich" ein "er" wurde und damit suggerierte, dass er den Artikel geschrieben hat. Arjan ist geplatzt, der Kollege hat mittlerweile eine Richtigstellung veröffentlichen müssen, der Herausgeber weiß nun, dass einige Kollegen in nächster Zeit ihm gegenüber sehr vorsichtig sein werden und in dieses Buch gucken werden, ob denn nicht aus Versehen der eigene Song ohne Urheberrechtsangabe in der Ausgabe gelandet ist... Und das Problem ist immer noch nicht gelöst mit der Bremerhavener Nachrichtenlage. Aber wir haben hier gesehen:

Unabhängigkeit ist schön.

Nachtrag:
Ich habe einige Mails erhalten gestern. Ich zitiere meine Antwort, damit sich manches vielleicht noch mal besser erklärt: Ich bin nämlich kein Gegner der Nordseezeitung, sondern ein Freund von Optimierungen:

Mein vorrangiges Problem ist gar nicht die eigene Nichtdarstellung, sondern die von nicht selten ehrenamtlich tätigen Kollegen, deren Arbeit ebenfalls in die Presse gehört. Man kann mir nicht damit kommen, dass die meisten Kunst- und Kulturschaffenden ja nicht Profi genug sind. Ich persönlich habe kein Verständnis für solch ein Denken. Eine Stadt, in der viel gerade auch von unten kulturell passiert, ist lebenswert. Da mag man auch wirtschaftlich investieren und wohnen. Umso vielfältiger, desto besser.

Martin Kemner, ein sehr geschätzter Bremerhavener Schauspiel-Kollege, hat seine Sache deutlich gesagt. Ich möchte wissen, dass kleine Gospelchöre genannt werden, wissen, wie das Orgelkonzert in der Kirche war, was die Speeldeel wieder ausgetüftelt hat und wie die letzte Aktion von Jochen Hertrampf war. Wusstest du, dass es in Bremerhaven und umzu insgesamt 17 Gospelformationen gibt? Und das wir seit 2 Jahren Soulchor sind, ein Musical sehr erfolgreich in München released haben? Dass Kantor Dittmann von der Großen Kirche so krank geworden ist, dass er kündigen musste, dass es in der Kantschule ein Projekt "Schauspiel vor der Kamera" gab? Was Jörg Seidel so treibt? Und Hardcorerapper Crak mit Kids Goethe- und Schillerballaden gerappt hat - und die Kids dafür sogar komponiert haben, und zwar richtig, richtig, RICHTIG gut?
Sowas will ich lesen können.

Es bleibt die Überlegung, was man selbst tun kann, um es zu ändern. Web erreicht nicht alle, Print scheint nicht zu klappen, und deshalb weiß ich nicht, was man machen kann. Ich will die NZ auch nicht abschaffen oder diskreditieren. Ich will einfach nur eine Diskussion dahingehend anregen, über Lösungen konstruktiv nach zu denken:

Für die Landesschultheatertage hat das LFI die Deutschleistungskurse verpflichtet, die Theaterkritiken zu schreiben, die NZ druckt das dann 1:1 ab. Aber das geht MAL...

Kommentare

  1. Liebe Vivi,

    du weißt ja garnicht was dein Posting hier bei mir alles auslöst. Nicht nur, das ich die zitierte Bloggesachichte verfolgt habe, nein auch dass die Frage der Printmedien udn der daraus folgenden Nachrichtenlage mitten in meinem Lebensbereich steht. Bewegend dabei, das ich rein rational verstehe, weshalb Zeitungen sich mit derartigen Veröffentlichungen bedeckt halten. Traurig stimmt mich, das gutes Tun dem Diktat der Wirtschaft geopfert wird - und das in einer Zeit in der es langsam jedem klar werden sollte, dass Wirtschaftswachstum und Konsum ihren Peak überschritten haben. Nun ja es sind wohl diese Geschichten die den Nährboden meiner Gospelindetitätskrise bilden und mich nach dem Sinn suchen lassen.

    Eike <><

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