Wer nur den lieben Gott lässt walten

Mit staunendem Gesicht und völlig fasziniert stand 1983 eine neunjährige Vivi mit 8 anderen Kindern in einem engen Raum mit Bänken, auf denen lauter ältere Kids und Teenies sowie zahllose Erwachsene hockten und eine Chorprobe hatten: Nach einem Jahr Vorschulbesuch und einem fürchterlich langweiligen Kaffeetrinken nebst Domführung also das: Ich durfte ab sofort zum Magdeburger Domchor. Und als Ständchen schmetterten die "Großen" dann "Jesu meine Freude". In diesem Moment wusste ich, dass mich das wohl niemals mehr los lassen würde: Die regelmäßig verrutschende Tolle des KMD Günther Hoff, die staubige Bibliothek im Nebenraum, das Stundenzählen bis zur nächsten Chorprobe... Und dann saß ich Montag, Donnerstag und Samstag Abend im Anbau des Remters.

Ich habe meine halbe Kindheit in diesem Chor verbracht und viele meiner schönsten Momente dort gesammelt. nicht ganz 30 Jahre später bin ich selbst Chorleiterin, mein "Dom" heißt Petruskirche... Und obwohl ich eher in der modernen Kirchenmusik zu Hause bin, pflegte ich meine Liebe zu den Alten Meistern heimlich weiter... Bis Dezember 2010. Da wurde ich mutig und ließ ein Projekt anlaufen, bei dem sich die Glad(E)makers ausprobieren konnten: Ist "Bach singen" mein Ding oder nicht? Dann ging die hiesige Kirchenchorleiterin in Rente... Und ich übernahm ihre Stelle und gab dem Projekt damit einen festen Platz sowie einen Namen: "Glad(E)makers: Bachmania".

Jeden Freitag 19 Uhr proben sie, die ca. 20 Klassikbegeisterten. Sie fingen mit "Alta trinita beata" an und arbeiteten sich jüngst zu einem 5stimmigen Satz hoch ("Sing we and chant it"), dicht gefolgt von einem 6stimmigen, der jetzt zu Weihnachten "getestet" wird. Im Tenor sitzen zwei Mädels, ein Sopran ist 5 Jahre alt, Die drei Bässe sind eher Baritöne - egal. Es macht einfach saumäßig Spaß und für mich ist es wirklich ein Kindheitstraum.

Gestern nun wurde das Jubiläum der Petruskirche nachgeholt. Natürlich wurden wir im Gottesdienst auch eingesetzt. Irgendwie entwickelt sich die Glad(E)makers-Geschichte zu einem neuartigen Konzept, wie Kirchengemeinden ihre Musikabteilung besser finanzieren und halten können - in dem sie unabhängig einen Verein haben. Wir starteten mit Gospels, und dann rutschten den Besuchern die Kinnladen runter (zur größten Freude unseres Pastors!), als sie "Jesu meine Freude" hörten.

Mit einer derartig überraschten Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Ich fühle mich aber bestätigt: Klassik wird ein fester BEstandteil meiner Arbeit werden - ebenso wie die Moderne es bleibt. Und wer weiß... Vielleicht werde ich den Brückenschlag noch machen...?




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