Das Wort des Hodschas

Im Hörsaal der Mevlana-University
Wir haben heute die Mevlana-Universität besucht und den Campus gegen Mittag betreten. Es gibt in Konya zwei Universitäten, einmal die oben genannte und eine staatliche Uni. Die Mevlana-Uni hingegen ist privat.

Sie bilden dort Ingenieure, Juristen, Mediziner, Lehrer und etliches andere aus. Ebenso gibt es einen ganzen Zweig, der sich nur mit Rumi und dem Sufismus auseinander setzt - und ergänzend dazu wird auch allen anderen Studenten dieser Zweig geöffnet. Diejenigen, die anderen etwas über den Islam beibringen, nennt man Hodscha. Wikipedia schreibt: "Hodschas brauchen keine spezielle Ausbildung, auch wenn sie heute häufiger einen akademischen Abschluss besitzen. Voraussetzung ist die Beherrschung der Gebete in arabischer Sprache und die Fähigkeit, Betende anzuleiten. In den Moscheen leiten sie das Gebet, halten die Freitagspredigt und lehren den Koran."

Einmal Richter spielen: Juristische Fakultät
Wir wurden herum geführt. 70 Prozent der Studenten in dieser Uni sind Frauen. Wir durften einen nachgestellten Gerichtssaal besuchen, in dem sich die Schüler gegenseitig in den Gerichtsroben fotografieren durften.

 In der medizinischen Fakultät zeigte uns der Führer eine Spende der "Körperwelten": Die Tatsache, dass dort eine echte, präparierte Leiche in der Vitrine stand, veranlasste mich dazu, spontan blass zu werden und die Schüler, duzende Fotos zu machen. Ich bin wohl albern, aber ich kann gar nicht so gut damit umgehen. 

 empfing uns dieser Hodscha. Er erzählte uns vom Sufismus. Erstaunlich, wie aufmerksam auch die Schüler zuhörten. 
Gruseliger Moment für mich: Die Spende der Körperwelten

Noch viel erstaunlicher aber der Respekt, den der Hodscha selbst zeigte und äußerte. Er nahm zum Beispiel Stellung zu den Lehren der IS und sagte sehr deutlich, dass sie Suren aus dem Koran aus dem Zusammenhang reißen. "Allah will nicht, dass man Ungläubige tötet. Er hat alles, was lebt, geschaffen und man hat, was Allah erschaffen hat, zu lieben, denn man ist ebenso Teil davon wie alle anderen". Zudem bezeichnete er den aktuellen Papst, Franziskus, als Hoffnung und sprach von dem Wunsch, Brücken hin zu den Christen zu schlagen. 

Er war sowieso schon sehr freundlich, aber als er und seine Assistenten heraus fanden, dass ich als kirchliche Vertreterin mitgereist war, wurde man ganz besonders herzlich. Sie baten mich, Grüße mit zu nehmen und zu betonen, wie wichtig es ist, zu lieben. Als Geschenk bekam jeder ein Buch über Rumi auf Englisch. Ich habe kurz rein geschaut und mich gefreut: Leicht zu lesen, noch leichter zu genießen. Es wird mir helfen, wenn ich später darüber Songs schreibe. 

Es hat mich sehr berührt. Wenn nach allem, was ich gehört, gelesen oder gesehen habe (im TV zum Beispiel), ein religiöser Lehrer (das Gegenstück zu einem Pfarrer) sagt, Christen seien Brüder und sie auch so behandelt, kann man nur den Hut ziehen. Ich frage mich immer mehr, warum alle so sehr auf das Trennende bestehen, wenn uns so viel eint. 

Der japanische Zen-Garten in Konya
Wir waren im Anschluss in einem japanischen Zen-Garten, mitten in einem Neubaugebiet in unmittelbarer Nachbarschaft zweier Moscheen. Es herrscht eine Partnerschaft zwischen den Sufisten und japanischen Buddhisten und dieser Garten ist ein Geschenk der Japaner an die Menschen in Konya. Ein wunderschöner Ort. Man spürt die Energien, würde Anne jetzt sagen, aber sie hat auch Recht.

Hier haben Jahrhunderte lang Muslime, Christen und Juden friedlich zusammen gelebt. Man begegnete sich mit Respekt, ging gut miteinander um und schuf großartige Dinge. Der Hodscha erklärte es in einer Geschichte, die ich übersetzen will. Ein weiser Mann sah 4 Männer sitzen und gab jedem von ihnen ein Goldstück. Dann fragte er, was sie damit machen wollen. Der erste sagte "Chleb". Der zweite sagte "Pain", der dritte sagte "Mkate" und der vierte, ein Deutscher, meinte, er würde sich Brot kaufen. Darüber gerieten die Männer in einen Streit. Da nahm der weise Mann ihnen das Gold wieder weg und ging auf den Markt und brachte Brot mit. Und gab jedem davon.
Der Hodscha erzählte es mit einem arabischen, persischen, türkischen und einem pakistanischen Mann und benutzte das Wort "Weintrauben" in den entspechenden Sprachen, aber es läuft auf dasselbe hinaus. Er verglich die 4 Männer mit den Religionen. Sie hatten alle ein anderes Wort, aber meinten dasselbe: Brot. Dieser Vergleich ist nicht auf dem Mist des Hodschas gewachsen, sondern stammt von Rumi selbst. 


Der Hodscha (rechts) und zwei weitere Doktoren
Er sagte auch, dass Gottes Größe sich nicht darin zeige, dass alle gleich seien, sondern gerade die Unterschiedlichkeit sei ein Beweis dafür, wie unendlich kreativ Gott sei. Und genau das Wissen, dass Gott uns alle geschaffen hat, mache uns zu Brüdern. Und Liebe sei das, was uns untereinander und mit Gott verbindet. Daran war NICHTS dogmatisch-islamisches. Daran war nichts blasphemisches. Ich bin gern Christ, ich sagte ja bereits, dass ich es gerade hier ganz neu für mich entdecke. Und gerade deshalb freut es mich unendlich, dass man uns empfängt, von sich erzählt und uns die Gelegenheit gibt, davon zu lernen. 

Der Zen-Garten, Kappadokien, die Moscheen und die singenden Muezine, morgen das Mevlana-Museum und dann diese Menschen hier, die niemals ein böses Wort verlieren, selbst wenn sie keinen persönlichen Vorteil sehen, Trinkgelder ablehnen und trotzdem alles tun, damit man sich wohl fühlt, die Sonne und all diese Dinge werden mich mein Leben lang begleiten. Das war schon nach Indien 2006 so, aber hier ist der Frieden, den ich in Auroville so gesucht und nicht gefunden habe. 

Ich hoffe, ich komme zu Hause genug zur Ruhe, dass ich all diese Eindrücke wirklich in Musik packen kann und dies in möglichst hoher Qualität. Ich möchte, dass die Menschen und insbesondere die Christen, mit denen ich ja tagtäglich zu tun habe und für die ich ja zu sorgen habe in meinem bescheidenen Rahmen, diese Atmosphäre, diesen Respekt und diese Schönheit über die Musik empfinden können. So wie ich viel gefilmt und fotografiert habe, so ist die Musik ebenfalls ein Mittel der Dokumentation - nur eben viel direkter. Selbst wenn es hinterher nicht chartreif oder massentauglich ist, aber ich finde, dass jeder, der sie hört, das Recht hat, an meinen Empfindungen in dieser gesegneten Stadt Anteil zu nehmen. Glück, das empfinde ich hier. Und ihr wisst ja...
Glück verdoppelt sich, wenn man es ganz teilt. 


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