Und plötzlich ist alles anders

Ich habe meinen Vater gefunden. 
Dieser Satz trägt mich seit gestern Morgen durch den Tag, ließ mich nicht schlafen und lenkt mich vollständig von allem, was ich sonst eigentlich tun oder bedenken sollte, ab. 

Wir springen ein wenig in der Zeit zurück.
1973 fanden die X. Weltfestspiele der Jugend in Ostberlin statt. Das war so eine Art "Weltjugendtag", wie ihn die katholische Kirche auch verantstaltet, nur halt "in rot". Und das Generalkommitee der SED lud großzügig Leute aus aller Welt ein, natürlich auch Amerikaner. Darunter einen Filmkomponisten namens Earl Robinson. Dieser schnappte sich seinen Stiefsohn und den Sohn eines Freundes und kam dieser Einladung im Sommer 1973 für einige Konzerte und eine Aufnahmesession nach. Das Album erschien 10 Jahre später auf Vinyl unter dem Titel "Ein Portrait". 

Der Sohn des Freundes lernte dabei natürlich auch die örtliche Musikszene kennen und stieß auf ein junges Ding: Schwarz, frech, eine brilliante Sängerin, etwas konfus, aber offensichtlich spannend genug für ein oder zwei Nächte, in denen offenbar mehr als nur gequatscht wurde... Der Beweis bin ich.

Als meine Mutter, eben diese junge Frau, 4 Monate später (ja, sie hat es ewig für Folgen von Stress gehalten, dass ihr dauernd übel war) die Diagnose "Schwanger" bekam, war der junge Mann längst wieder auf amerikanischen Boden. Und sie verschwieg seine Vaterschaft. Sie hatte sich nämlich tatsächlich verliebt und beschlossen, ihm unangenehme Repressalien sowohl von DDR- als auch amerikanischer Seite zu ersparen. So wurde später meine Geburtsurkunde nie mit einem väterlichen Namen versehen, aussschließlich sie steht drauf. 

Mittlerweile bin ich 40. Und weiß seit 1989, wer mein Vater ist (zumindest den Namen). Allerdings hat sie die "Weckstaben verbuchselt" und den Namen nicht mehr richtig im Kopf gehabt. So suchte ich immer mal wieder nach "Jeffrey Laudan", in der festen Annahme, irgendwie müsse sich dieser Mann ja finden lassen.

Dann saß Sonntag Abend ein neuer junger Tenor bei mir in der Wohnung. Er ist zur Zeit obdachlos und schläft bei quasi jedem Chormitglied mal eine Nacht, bis er eine Wohnung bekommt. Er ist großer Ost-Rock-Fan und brüstete sich damit, JEDE zu DDR-Zeiten gemachte Musikaufnahme zu finden, so diese erschienen war. Die Wette galt, mir fiel Earl Robinson wieder ein und er machte sich auf die Suche. Und förderte "Ein Portrait" zu Tage. Aber darauf stand kein Jeffrey Laudan - sondern ein Jeffrey Landau. 

Ich postete ein Hilfegesuch auf Facebook und machte mich ans Googeln bis tief in die Nacht und setzte es am kommenden Tag fort. Ich fand irgendwann einen von 32 Jeffrey Landaus, der eine Youtubeaufnahme bei einem "Tribute Pete Seeger" gemacht hat. Und gegen Abend kratzte ich meinen Mut zusammen und schrieb ihm eine eMail.

Gestern morgen dann wachte ich auf, und der erste Griff ging zum Handy. Und er hat geantwortet - er war der richtige. Er erinnerte sich genau an meine Mutter. Und reagierte so nett, dass ich jetzt mich hinsetzte und weiter recherchierte. Ich will ja wissen, wie meine Wurzeln sind. 

Und hier sind die Wurzeln:
Mein Urgroßvater hieß Fritz Landau und war in Wien Musiker (was auch sonst). Mein Großvater verließ des Einmarsches der Nazis in Wien wegen das Land und ging nach New York. Er baute später Galerien und einen Kunsthandel auf und wurde Vater von 3 Söhnen. Anfang der 70er ließ er sich scheiden und gab die Galerien auf, um nach Europa zu gehen. Dort heiratete er eine Schweizer Malerin und starb dann dort auch. Er war mit Leuten wie Pete Seeger oder Earl Robinson befreundet, unterstützte die Schwarzenbewegung Ende der 60er und half wo so manchem nach den Untrieben der McCarthy-Ära wieder auf die Beine. Ein Mann mit "Arsch in der Hose", wie wir so schön sagen, einer  mit Mut. 

Was meine Großmutter nach der Scheidung gemacht hat, weiß ich nicht. Aber sie lebt noch. Und führt gemeinsam mit Jeffrey einen Kunsthandel und organisiert Wanderausstellungen. Zudem gehört ihnen (zum Teil?) das Grammy-Museum in L.A., wo beide leben. 

Ich freue mich unfassbar, bin völlig durcheinander (weil es so dermaßen schnell ging plötzlich) und damit nahezu überfordert, meine Gedanken zu sortieren. Ich habe keine Ahnung, wie das ist mit einem Vater, ich konnte nicht an Stiefvätern üben, wofür ich ausgesprochen dankbar bin. Ich habe mir ja auch so ein (so denke ich) gutes Leben aufgebaut, wenn auch mit viel Mühe und Arbeit, ich habe zwei Kinder großgezogen, ich habe musikalisch ein wenig was vorzuweisen und kann mein eigenes Geld verdienen. Mir ist ganz deutlich bewusst, dass jemand, der nichts weiß, sich nicht kümmern kann (und seine Mail vermittelt mir den Eindruck, er HÄTTE sich gekümmert) und damit sehe ich auch keine andere Emotion als Freude für mich. Ich hoffe nun, ich lerne ihn bald kennen und dann weiß ich vielleicht, wer er ist und man hat Chance, Zeit eventuell ein wenig nach zu holen. Letztlich ist es ja nicht nur so, dass mir 40 Jahre ein Vater gut getan hätte. Sondern auch er hat Dinge verpasst: Das "ich bringe meinem Kind Rad fahren bei", das mit der Flinte hinter der Tür warten, weil ich mit der ersten großen Liebe nach Hause komme, stundenlange Referate über Sport oder Technik oder was immer, was Väter anderer Leute eben so tun. Zudem hat er ja erfahren, dass er nicht nur Vater, sondern auch zweifacher Großvater ist. Aber das, so denke ich, hat er nicht realisiert so wirklich. 

Ich bin sehr gespannt, wie es weiter geht. 


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